Artikel aus der Serie der Frankfurter Rundschau zu 1871

sowie verwandter Artikeln aus anderen Zeitungen

Die Frankfurter Rundschau nimmt sich des Gründungsjahres des Deutschen Reiches an (später auch Zweites Deutsches Reich). Die Artikelserie beginnt mit einer historischen Würdigung der Verfassung des Deutschen Bundes, die am  31.12.1870 im Bundesgesetzblatt verkündet wurde und am 1.1.1871 in Kraft trat.

Reichsgründung 1871: Das Problem vertagend | Gesellschaft (fr.de)

Der Artikel von Christian Thomas (31.12.2020) rückt die Auffassung in den Vordergrund, dass es sich bei dem Deutschen Kaiserreich nicht um eine "Feudale Militärmonarchie " sondern um eine konstitutionelle Monarchie handelte. Thomas vertritt diese Auffassung obwohl er der Verfassung bescheinigt, das von Volkssouveränität entsprechend ihre Präambel keine Rede sein kann. Er streicht allerdings heraus, dass die Verfassung bestimmte Freiheiten garantiert. Thomas spricht davon, dass die Verfassung die Frage der Volkssouveränität aufschiebt.

„Das belastende Erbe der Kaiserzeit war fatal für die Demokratie“ | Gesellschaft

Im Interview mit Peter Riesbeck trifft Christoph Nonn (3.1.2021)  folgende Feststellungen:

Die Gesellschaft des Kaiserreichs war nicht uniform militaristisch. Eine liberale Zivilgesellschadt (Parteien, Arbeiterbewegung, Bürgertum, Katholiken, ...) hatte durchaus Einfluss auf das politische Geschehen. (Das trifft sich übrigesn damit, dass die Vernichtungs der Hereros im Reich auf Widerstand stieß). Nonn entwickelt diesen Gedanken an der Figur des Schusters Voigt.

Der Einfluss des Parlaments war gering. Wenn man den Artikel richtig deutet auch eher auf verbale Konfrantation statt Kompromisfindung in der Sache ausgerichtet. Die Regierung und der Monarch hatten das Sagen. Diese mangelnde Kompromisbereitschaft bei gleichzeitiger verbaler Aufrüstung war eine Hypothek für die Weimarer Demokratie.

Studie zur Ideengeschichte Europas: Über das Nationale hinaus - taz.de

Brumlik rezensiert Orlando Figes Buch: „Die Europäer“.(aus dem Englischen von Bernd Rullkötter. Hanser Berlin, Berlin 2020. 640 Seiten, 34 Euro). Das buch selbst ist eine Kultur und Gesellschaftsgeschichte des 19-ten Jahrhunderts bis 1871. Brunlik arbeitet als Kerngedanken heraus, das " ... dass [...] die Opernbegeisterung des 19. Jahrhunderts, die Entwicklung und der Ausbau des Eisenbahnwesens sowie der Druckindustrie intern zusammengehören – und zwar so, dass die so gerne getroffene Unterscheidung von Kunst und Kommerz beziehungsweise der von Adorno geprägte Begriff der „Kulturindustrie“ in sich zusammenbricht." Im Buch wird auch nachgezeichnet, wie die kulturellen, gesellschaftlichen und wirtschaftliche Dimensionen zusammen spieln. Dieses Zusammenspiel verortet sich hauptsächlich im Paris des 19-tne Jahrhunderts. Brunlik spitzt das so zu: "Vor dieser [Pariser] Kulisse nahm das Gestalt an, was später – bis heute! – als Gegensatz von Kosmopolitismus und Nationalismus Intellektuelle aufwühlen und Staaten in den Krieg ziehen ließ."

Großmacht zuerst | Gesellschaft (fr.de)

Christian Thomas  (Artikel vom 8.1.2021) zieht eine Linie von den drei Einigungskriegen mit ihren markanten Schlachten (1864 gegen Dänemark (Düppeler Schanzen), 1866 gegen Österreich (Königgrätz, Sadowa), 1870/71 gegen Frankreich (Sedan)) zum Ersten Weltkrieg. Diese Linie ist nicht der preußisch Deutsch Nationalismus sondern die nationalisitsiche Großmannsucht sowie die Bündnispolitik gegen vermerintlich schwächere oder den eigenen Ambitionen zu stark werdende Nationen.

Der konservative Rowdy | Gesellschaft (fr.de)

Wilhelm von Sternburg (Artikel vom 13.1.2021)  arbeitet den konservativen Rowdy heraus, in Anspielung auf die aktuellen Ereignisse rund um Donald Trump in den USA. "Bismarck war im Grunde nie an Deutschland interessiert. Erst kam er, dann kam Preußen, und für beider Erfolg im großen politischen Spiel brauchte er die geeinte Nation. Er gründete ein Reich, weil er zu Recht glaubte, nur auf diesem Weg sei Preußens Führungsposition und damit natürlich auch seine persönliche Rolle im Machtpoker der Zeit zu halten. Erfolgreich war sein Vorgehen, weil er politisch intelligenter, charakterlich skrupelloser und menschlich kälter war als die meisten seiner Gegner."

Ein strapaziöses Erbe | Gesellschaft (fr.de)

Christian Thomas (Artikel vom 18.1.2021)  fasst die im Laufe der Geschichte entwickelten Bilder der Gründung des Zweiten Deutschen Reiches von - in meinen Worten - "Himmelhoch jauchzend" bis zu "Tode bertrübt " in seiner Überschrift zusammen: "Ein strapaiöses Erbe". Sterneburgs Charakterisierung von Bismarck als "Rowdy" wird nicht wörtlich, aber dem Sinne nach aufgegriffen. Positive Seiten (Industrialisierung) werden angerissen ebenos abstoßende Seite (Verächtlich machen der Franzosen) . Die Bildung von Nationalstaaten unterschiedlicher Verfassung als geschichtlicher Prozess war mit 1871 eigentlich an sein Ende angelangt bevor der auf Hegemonie zielende Nationalismus sich im 20-ten Jahrhundert ausgetobt hat. Das wäre ein Aspekt, der geprüft werden sollte - aber bei Thomas kaum entfaltet wird. Und was ist mit Frankreich 1871? 

Gregorovius | Times mager (fr.de)

Der Journalist und Schriftsteller Ferdinand Gregorovius hat mit seiner Geschichte Roms im 5-ten und seit dem 5-ten Jahrhundert die Ambivalenz geschichtlicher Ereignisse dargestellt. Christian Thomas arbeitetet seine vorsichtige Auffassung zu den Geschehnissen der Reichsgründung heraus und bezeichnet ihn als Visionär Europas.

Neues Reich und neuer Judenhass | Gesellschaft (fr.de)

Micha Brumlik (22.1.2010) beschreibt den sich entwickelnden jetzt weniger religiösen als areligiösen Antisemititismus und die preußisch evangelischen Anteil daran nach 1871. Nach der rechtlichen Gleichstellung der Juden 1869 und 1871 entwickelte sich ein weltanschaulicher, in zivilen Vereinen und Parteien organisierte Antisemitismus. Ein Aufsatz (ab Seite 572) des Historikers Heinrich von Treitschke von 1879 wendet sich gegen die "aus der unerschöpflichen polnischen Wiege [dringende] Schaar strebsamer hosenvaufender Jünglinge."  Brumlik ziteiert das an 2015 erinnernde Argumentationsmuster umfassender. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass das "germanische Volksgefühl" durch Fremdes verletzt werde. Die Juden waren dafür der Platzhalter des Zeiten Deutschen Reiches.

Die andere Reichsgründung | Gesellschaft (fr.de)

Gerd Koenen betrachtet die Reichsgründung in seinem Artikel (28.1.2021) aus Sicht der SPD und ihrer Frankrionen. Marx und Engels wie auch Lassal betrachteten die Reichsgründung als notwendigen Schritt zur nationalen Einheit als Voraussetzung der ökonomischen Entwicklung. "Bismarck ereledigt die Arbeit von uns". Nach der Niederlage Napoleons III wendeten Marx und Engels sich gegen die Weiterführung des Krieges. Sie traten ein für eine parlamentarische Republik. Lassal dagagen für ein diktatorisches, sozialistsiches, kaiserliches Deutschland. Die Sozialdemokraten waren in Fragen der nationalen Stärke und des Krieges unentschieden und unklar. Erfolgreich hingegen waren sie, was sozialpolitische Erfoge und eine gesellschaftlich liberale Atmosphäre im Kaiserreich anging.

Föderalismus im Kaiserreich: Geschichtsbruch und Kontinuität | Gesellschaft (fr.de)

Langewiesche sieht den Bruch und Kontinuität seit 1806 in der Nachfolge des"Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation". Vor 1806 bedeutete Nation nicht einheitliche Staatlichkeit. Die durch Bismarck gegründetet deutsche Staatsnation trug weiterhin ihre Wurzeln in den vorausgehenden Staaten Bayern, Hamburg, Baden, ... mit sich. Sie hat nie den Zentralismus zum Beispiel Frankreichs entwickelt. Nation und Staat bilden unterschiedliche Identitäten: Langewiesche spricht von Staatsnation und Föderativnation. Als Vorläufer des Deutschen Reiches war der deutsche bund eher eine (europäische) Veranstaltung von Staaten als ein Vorläufer des Nationalstaates.

Allerdings fand in ihm Nationsbildung statt: "Im Deutschen Bund vollzog sich das, was man Nationsbildung nennt. Die wirtschaftlichen Verflechtungen wurden enger, die Verkehrsverbindungen ebenfalls, handelspolitisch trat man nach außen gemeinsam auf, Vereine und Interessenverbände übergriffen die einzelnen Staaten, ein nationaler Kommunikationsraum entstand. Nicht alle Gebiete des Bundes wurden in diese nationale Verdichtung einbezogen. Auch deshalb war er nicht auf dem Wege zu einem gemeinsamen Staat. Er wirkte vielmehr trotz der nationalpolitischen Integration, die er ermöglichte, als Schutzschild gegen alle Versuche, die einzelnen deutschen Staaten in einen deutschen Gesamtstaat einzuschmelzen. Wer den Nationalstaat wollte, musste den Deutschen Bund zerstören. Das unternahm 1848 die Revolution und dann 1866 Preußen im deutschen „Bruderkrieg“, wie die Zeitgenossen den Krieg nannten, der Österreich ausschloss und Preußen durch Annexionen vergrößerte."

1871 und 1990: Die doppelte Einheit | Blätter für deutsche und internationale Politik (blaetter.de)

Die Bätter versuchen Parallelen zur Nationalstattlichkeit heute zu ziehen. Gleichzeitig schimmert in dem Beitrag von ... immer wieder der auch schon vor 150 Jahren gewälzte Widerspruch zwischen Weltbürger (Europäer) und nationalem Hegemon auf. Der erste Weltkrieg hat seine Wurzeln nicht (auch) in der bismrckschen Politik sonderen in der Selbstüberschätzung des Deutschen Reiches unter Wilhelm II. Bismarcks Balancepolitik und seine europäischen Überlegngen werden betont.